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Wenn der Beobachter fest an die Illusion glaubt, wird sie real.
Schwertmeister Zon Noret
Der Söldner saß auf einem Hügel aus Fels und Sand neben einem Schrein aus gebrochenen Korallen, der mit frischen Hyazinthen geschmückt war. Dieses Denkmal für Manion den Unschuldigen bot Trost und Schutz vor den dämonischen Maschinen, aber Jool Noret zog es vor, sich auf seine Fähigkeiten als Kämpfer zu verlassen, wie er es vor über einem Jahr auf Ix getan hatte.
Er drehte den Kopf und blickte über den Ozean aus Sand, der seine kleine private Insel umgab. Er stellte sich imaginäre Feinde und Ziele vor.
Noret trug nur einen Lendenschurz um die Hüften. Er ging in die Hocke und spannte die Muskeln, bis die erstarrte Haltung ihm Schmerzen bereitete. Doch er wollte sich nicht lockern, er wollte nicht einmal blinzeln, obwohl ihm Schweißbäche über die Stirn in die Augen liefen.
Dann, so schnell wie ein Blitz, führte er einen Hieb mit seinem Pulsschwert. Die tödliche Klinge schnitt durch die Luft, genau dort, wohin Noret gezielt hatte.
Er hatte sich geschworen, niemals seine Fähigkeiten zu vernachlässigen, auch nicht, wenn er zwischen den Missionen nach Ginaz zurückkehrte. Er musste weiter mit Chirox trainieren, um eine noch höhere Stufe der Meisterschaft zu erreichen. Den Anpassungsalgorithmus des Meks hatte er bereits weit über den früheren Rahmen hinausgetrieben, bis er alles übertraf, was er bislang für praktisch möglich gehalten hatte. Immer wieder bewies er sein Geschick, doch er war nie mit sich zufrieden. Die Uhr des Lebens tickte leise in ihm, und er wollte seine Fähigkeiten nicht verlieren, während er älter wurde. Seltsam morbide Gedanken für einen Mann, der noch nicht einmal sein dreiundzwanzigstes Lebensjahr vollendet hatte.
Einige Monate zuvor war er mit einer Gruppe Veteranen von Salusa Secundus nach Ginaz zurückgekehrt. Keiner der zornigen, kampfgestählten Söldner war darauf erpicht, auf einer sonnigen Insel zu faulenzen, also zogen sie mehrere Wochen lang durch den Weltraum und suchten in der Nähe abgelegener Synchronisierter Welten nach versprengten Feinden. Sie fanden und zerstörten zwei Roboterscoutschiffe, und als keine weiteren Ziele in Sicht gewesen waren, machte sich der Truppentransporter schließlich auf den Weg durch den Korridor nach Rossak und Ginaz. Nachdem sie den gefährlichen Asteroidengürtel des Systems durchdrungen hatten, erreichten sie die Wasserwelt.
Noret hatte nichts dagegen. Er sehnte sich danach, auf die kleine Insel zurückzukehren und weiter mit Chirox zu trainieren, damit seine Kampfkonzentration schärfer als eine Nanoklinge wurde. Umso mehr Maschinen würde er besiegen können.
Blitzartig wirbelte er herum, sprang in die Luft und schlug nach hinten. Seit seiner Kindheit hatte er mit den unterschiedlichsten Waffen trainiert, einschließlich komplexer Ausrüstungen, mit denen er ein Dutzend Kampfroboter gleichzeitig ausschalten konnte. Trotzdem setzte er immer wieder das Pulsschwert seines Vaters ein. Es war eine archaische Waffe, aber sie war präzise. Wer sie zu führen verstand, erreichte eine Zielgenauigkeit, die jeder Störgranate oder großkalibrigen Kanone versagt blieb.
Im Kampf geht es um Präzision und Timing, um die korrekte Umsetzung sinnlicher Wahrnehmungen und ein Wissen, das sich aus der Erfahrung speist.
Wenn er sich auf einer Djihad-Mission befand, trainierte Jool Noret jeden Tag mehrere Stunden lang, entweder allein oder mit dem Sensei-Mek. Da er nicht an menschlicher Gesellschaft interessiert war, hatte er keine Freunde unter den anderen Auszubildenden, die zur Insel kamen. Er machte nur kurze Pausen, um lauwarmes Wasser zu trinken und geschmacklose Nahrung zu sich zu nehmen, nur so viel, um seinem Körper die nötige Energie zum Weiterkämpfen zu geben.
Bald würde Noret bereit sein, sich wieder dem Djihad anzuschließen. Er betrachtete sich als Menschen, der aus keinem anderen Grund existierte, als Denkmaschinen auszulöschen. Eines Tages mochte ihn sein Draufgängertum das Leben kosten, aber er würde dafür sorgen, dass Omnius zuvor einen hohen Preis zahlte ...
Unter ihm auf dem zertrampelten Strand saßen Rekruten, die Noret stumm und voller Respekt beobachteten, wie er seine Trainingsroutine abarbeitete. Der Sensei-Mek stand neben den Beobachtern. Noret nahm sie aus dem Augenwinkel wahr, schenkte ihnen jedoch keine Beachtung. Er hatte sehr viel gelernt, während er seinem Vater einfach nur zugesehen hatte, und er hatte nichts dagegen, dass sie ihm zuschauten, obwohl er nicht ihr Lehrer sein wollte.
Noret wandte seinem Publikum den Rücken zu und stürzte sich in die nächsten Übungen. Die Menschen kannten seine Heldentaten aus Kriegsberichten, die der Rat der Veteranen unter den Söldnern auf Erholungsurlaub und den Rekruten verteilen ließ. Auf der Insel hatten alle von seinen Triumphen gehört. Bereits durch seine allererste Mission hatte Jool Noret einen nahezu legendären Status erlangt, als er im Alleingang eine Atombombe ins Ziel gebracht hatte, mit der der Ix-Omnius ausgelöscht worden war. Seitdem hatte er bei mehreren Gefechten haufenweise Denkmaschinen besiegt.
Doch Noret wies jedes Lob von sich und wollte sich nicht im Ruhm sonnen. Er hatte nicht das Gefühl, sich so etwas verdient zu haben.
In den vergangenen Wochen war eine immer größere Anzahl neugieriger Schüler gekommen, um ihn zu beobachten, begierig darauf, seine Techniken übernehmen zu können. Staunend verfolgten sie Norets übermenschliches Geschick im Training mit dem Kampfmek.
Die Menge wurde immer zahlreicher. Bald flehten ihn die jungen Leute an, sie persönlich zu unterweisen, aber Noret lehnte das ab. »Ich kann es nicht. Ich habe noch nicht alles gelernt, was ich lernen muss.«
Obwohl er es zu verbergen suchte, weigerte er sich, seine Bewunderer zu unterrichten, weil er sich immer noch eine große Mitschuld am Tod seines Vaters gab. Sein Herz war wie versteinert. Er wusste, dass er eines Tages im Kampf versagen würde, weil dieses Schicksal jedem Krieger bevorstand. Aber er schwor sich, es seinen Feinden nicht leicht zu machen. Weil er sich von jeglicher Rücksicht und jeglichem Selbsterhaltungstrieb befreit hatte, konnte er Leistungen vollbringen, wie er sie in seinen Übungen demonstrierte. Was würde es den anderen Söldnern nützen, wenn er sie auf dieselbe Weise unterrichtete? Sie würden reihenweise sterben!
Jeden Tag bezwang Noret die höchste Kampfstufe, die Chirox zur Verfügung stand.
»Die Schüler möchten von dir lernen, Meister Jool Noret«, sagte der Kampfroboter, als die goldene Sonne im weiten Meer unterging. »Hat sich Ginaz nicht dazu verpflichtet, immer mehr Söldner in den Kampf zu schicken?«
Noret runzelte die Stirn. »Meine Pflicht ist es, in den Kampf zurückzukehren. Ich beabsichtige, mit dem nächsten Schiff abzufliegen.« Er steckte sein Pulsschwert ein und stellte sich die Strategien für künftige Auseinandersetzungen mit den menschenfeindlichen Denkmaschinen vor.
Dann kam einer der Schüler auf ihn zu, der den Mut aufbrachte, dem berühmten, einzelgängerischen Söldner gegenüberzutreten. »Jool Noret, wir bewundern dich. Du bist Omnius' Geißel.«
»Ich erfülle nur meine Aufgabe.«
Der Schüler hatte dunkles Haar und blasse, sommersprossige Haut, die sich von einem Sonnenbrand pellte. Er stammte offensichtlich nicht von Ginaz, sondern war zur Ausbildung auf den Planeten gekommen. Er war mindestens fünf Jahre älter als Noret und hatte einen kräftig gebauten Körper mit schweren Muskeln. Er würde niemals die Beweglichkeit eines Söldners von Ginaz erreichen ... aber er machte den Eindruck eines starken Kämpfers.
»Warum weigerst du dich, uns zu unterrichten, Jool Noret? Wir sind Waffen, die darauf warten, im Feuer geschmiedet zu werden.«
Ruhig wiederholte Noret die Worte, die für ihn bereits zu einem Mantra geworden waren. »Ich bin selbst noch unvollkommen. Ich bin nicht geeignet, anderen etwas beizubringen.«
Der junge Mann erwiderte schroff: »Ich bin bereit, dieses Risiko einzugehen. Ich komme von Tyndall. Vor acht Jahren haben die Denkmaschinen meine Heimatwelt übernommen. Sie haben Millionen getötet und den Rest versklavt. Meine Schwestern und meine Eltern wurden niedergemetzelt.« Seine Augen waren groß und mit Wut und Tränen gefüllt. »Dann schlug die Armee des Djihad zurück. Sie kam mit einer überwältigenden Streitmacht und vielen Söldnern nach Tyndall, und sie konnten die Maschinen vertreiben. Den Djihadis habe ich es zu verdanken, dass ich am Leben bin.«
Seine Oberlippe zitterte. »Ich bin hierher gekommen, weil auch ich ein Söldner werden will. Ich will die Denkmaschinen vernichten. Ich will Rache. Bitte ... unterrichte mich.«
»Ich kann es nicht.« Noret stumpfte sich ab, um sich nicht von der niedergeschlagenen Miene des Flüchtlings von Tyndall erweichen zu lassen. Doch nach langer Überlegung wandte er sich Chirox zu. »Aber ich habe keine Einwände ... wenn du an meiner Stelle die Rekruten trainieren willst.«
* * *
Obwohl seine Trainingsmethoden unorthodox waren und von altgedienten Ausbildern mit großer Skepsis betrachtet wurden, begann der Kampfroboter mit den Lektionen für die atemlosen und ehrgeizigen jungen Leute, die zu Norets Insel gekommen waren.
In den Tagen nach der Abreise seines Meisters nahm Chirox zwei Schüler an, dann zwölf, und schließlich unterrichtete er die eifrigen Kämpfer in mehreren Schichten zu jeder Tages- und Nachtstunde. Weil er keine Ruhepause benötigte, unterwies er sie unermüdlich in den Grundlagen der Auseinandersetzung mit Robotern.
Jeden Tag stürzten sich die Schüler mit aller Leidenschaft, die sich ein Lehrer wünschen konnte, in das Training. Jeder wollte wie der legendäre Schwertmeister von Ginaz werden. Doch wenn man sie danach fragte, konnte keiner von ihnen sagen, worin sich der Stil ihres Idols von dem anderer Söldner unterschied. Außer dass er extrem schnell war und er völlig unerwartet zuschlagen konnte.
Immer wenn der Sensei-Mek den Eindruck gewann, dass ein bestimmter Schüler dazu bereit war, schickte er ihn fort, damit er als offizieller Söldner von Ginaz anerkannt wurde. Und die Anhänger von Jool Noret durften eine beschriebene Korallenscheibe aus einem Korb ziehen und den Geist eines gefallenen Söldners adoptieren.
Dann zogen sie los, um ihr Kampfgeschick in den Dienst der Armee des Djihad zu stellen.